Digitalotopia – Kapitel 3.5 – Innovation, Disruption und Start-ups

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Traditionelle Unternehmen und traditionelle Märkte sind teilweise scheinbar von den Entwicklungen durch die Digitalisierung und der rasanten Geschwindigkeit mit denen diese vonstattengehen überrascht worden. Die sogenannte Disruption ist zum Schreckgespenst geworden. Damit ist gemeint, dass junge Unternehmen und Start-ups durch Innovationen und Schaffung neuer Märkte bestehende Geschäftsmodelle oder ganze Märkte zerstören und dabei etablierte Unternehmen ins Wanken bringen. Vielfach werden die neuen digitalen Geschäftsideen heute direkt global ausgerollt. So sind beispielsweise Amazon und Google innerhalb weniger Jahre zu Weltkonzernen aufgestiegen.


Anmerkung der Redaktion:

Dieser Text gehört zum Buchmanuskript “Digitalotopia – Sind wir bereit für die (R)Evolution der Wirklichkeit?”

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Uber greift das Geschäft der Taxibranche an, ohne auch nur einen einzigen Taxifahrer zu beschäftigen. Tesla revolutioniert mit seinen Elektrofahrzeugen die Automobilbranche. Dienste wie WhatsApp werden zum Hauptkommunikationsmedium und stoßen SMS und Telefonieren vom Thron. Airbnb vermietet private Unterkünfte und macht damit den Hotels Konkurrenz. Couchsurfing vermietet „Couches“ zum Übernachten und bietet die Möglichkeit Menschen zu treffen. Durch Musik Streamingdienste wie Spotify verlieren Musik-CDs weiter an Bedeutung. Bereits im Jahr 2014 nahm die Musikbranche mehr über Streaming-Dienste ein, als über den Verkauf von CDs[1]. Doch Disruption gab es auch schon vor Jahrhunderten. So führte der Buchdruck zur Alphabetisierung der Bevölkerung, wurde zum ersten Massenmedium und führte zur Verbreitung von Wissen in der breiten Bevölkerung, welches zuvor nur gebildeten Klerikern und den Adelshöfen vorbehalten war, die dadurch eine Disruption und Entmachtung erfuhren. Dies führte zu drastischen gesellschaftlichen Veränderungen und einer herausragenden Zeitgeschichte, die wir als Renaissance kennen. In dieser Epoche veränderte sich die Welt rasant. Durch das kopernikanische Weltbild, das besagt, dass die Erde um die Sonne kreist, ergab sich eine weitere Disruption. Denn es gingen daraus neue Erkenntnisse für die Navigation in der Seefahrt hervor. Parallel führten neue Techniken im Schiffsbau dazu, dass Handelswege über Land durch Handelswege über See ersetzt wurden und Hafenstädte blühten zu Dreh- und Angelpunkten im Handel für Gewürze und andere Güter auf. Städte, die hingegen, auf Handelsrouten lagen, die über Land führten, verloren an Bedeutung. Frederic Tudor startete am 13. Februar 1806 sein Geschäft mit in den USA abgebauten Natureis, welches er in die ganze Welt verschiffte[2]. Er wurde damit zu einem der reichsten Menschen der damaligen Zeit, weil Lebensmittel nun gekühlt werden konnten, die Küchen so revolutioniert wurden und die Menschen in der Karibik, Kalkutta oder Martinique eisgekühlte Drinks genießen konnten. Doch schließlich bricht das Geschäft mit dem Natureis ein, weil es Kälteingenieuren gelingt künstliches Eis herzustellen und die Epoche der Kältetechnik (Kühlhäuser) anbricht. Die Energie für die Produktion von künstlichem Eis und dem Betrieb der Kältemaschinen wird von den damals neuen Dampfmaschinen geliefert. Im 19. Jahrhundert ging mit dem Ausbau der Eisenbahn das romantisch verklärte Zeitalter der Postkutschen für „Fernreisen“ zu ende. Zu Beginn des 20ten Jahrhundert verdrängte das moderne Automobil endgültig die Kutsche aus dem Straßenbild. Der Beruf des Stadtausrufers, der Rufend die wichtigsten Ereignisse der Stadt verkündete viel dem lokalen Radio und der lokalen Tageszeitung zum Opfer. Disruption findet sich im gesamten Verlauf der Menschheitsgeschichte.

Gegen eine „drohende“ Disruption durch die Digitalisierung und die daraus hervorgehende Bedrohung derzeitiger Geschäftsmodelle, suchen Unternehmen auch das Heil und die Lösung bei Start-up Unternehmen und schnellen Lösungen in den Start-up Metropolen dieser Welt, wie im Silicon Valley, Tel-Aviv oder Berlin. Das Unternehmen Seedstars[3] hingegen sucht auf der ganzen Welt und insbesondere in Entwicklungsländern nach kleinen Start‑up Rosinen. Die traditionellen Unternehmen hingegen suchen auch nach der großen Rettung und nach dem neuen Milliardengeschäft der Zukunft. Einen gewissen Promistatus hat der erfolgreiche deutsche Start-up Gründer und Investor Frank Thelen durch die Sendung „Die Höhle der Löwen“ erlangt. In der Sendung werden verschiedene Start-up Geschäftsideen gepitcht und versucht die Gunst der Investoren aus der Jury zu gewinnen. In seinem lesenwerten Buch „Startup DNA“ beschreibt Thelen sowohl wie Gründen als auch Scheitern als Unternehmer geht. Start-up Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar, vor einem Börsengang bzw. einem Exit, werden in der Finanzbranche im Übrigen als Unicorn (Einhorn) bezeichnet. Etablierte Unternehmen gründen Innovationseinheiten in denen eine sogenannte Lean Startup Kultur vorherrschen soll. Es sollen dadurch neue Geschäftsmodelle ausprobiert (Ideation) und gegebenenfalls auch schnell wieder verworfen werden. Ganz wie die GAFA Vorbilder (Google, Apple, Facebook und Amazon) und die Start‑ups im Silicon Valley es zu tun scheinen. Ganz nach dem trial and error Prinzip: Probieren, Scheitern und wieder Probieren. Fehler dürfen gemacht werden. Doch Fehler tragen eher den Charakter von misslungenen Experimenten. Dabei werden häufig gescheiterte Projekte bzw. Experimente in einer ritualisierten Zeremonie zu Grabe getragen. Doch der eigentliche Spirit den Lean-Startup haben soll ist der, dass Geschäftsmodelle flexibel sein sollen. Funktionieren sie nicht wird umgeschwenkt (pivot)[4]. Scheint das Geschäftsmodell zu funktionieren so muss man durchhalten (perservere) bis der Scale-Up in Form von steigenden Umsätzen bzw. Gewinnen erzielt wird und das am besten noch „exponentiell“. Funktioniert es nicht muss man es beerdigen (Shut-down). Studien zeigen, dass viele Investitionen in Start‑ups und Innovationseinheiten bisher jedoch nicht den gewünschten Return of Invest bringen. Denn Unicorns sind selten. Auch die scheinbare Beschleunigung und Zunahme an Gründungen neuer Start‑up Unternehmen scheint lediglich ein Gefühl zu sein und nicht den Fakten zu entsprechen, wie Untersuchungen des US-Ökonomen Robert J. Gordon zeigen[5]. In Deutschland betrug im Jahr 2016 das investierte Venture Kapital laut dem Bundesverband Deutscher KapitalbeteiligungsgesellschaftenGerman Private Equity and Venture Capital Association e.V. (BVK) rund 933 Millionen EUR. Im Jahr 2015 waren es lediglich rund 100 Mio. EUR weniger. Im Jahr 2017 scheinen die Investitionen in etwa in der Höhe des Jahres 2016 zu liegen. In gesamt Europa sank das investierte Kapital hingegen von 18 Milliarden im Jahr 2015 auf 15,7 Milliarden Dollar im Jahr 2016. Verglichen mit den USA ist das wenig. Die USA investierten rund 72 Mrd. Dollar im Jahr 2015 in innovative Start‑ups.

Zwischen USA und beispielsweise Deutschland gibt es bezüglich der Start‑up‑Kultur generell deutliche Unterschiede. Christoph Keese beschreibt dies durchaus anschaulich in seinem Buch „Silicon Germany“. Folgende erfundenen Start‑up Geschichten verdeutlichen in etwas überspitzer Form die Unterschiede:

  • Ein Start‑up Gründer legt in Deutschland einen Businessplan vor. Danach plant er einen Umsatz von 1 Mio. EUR im zweiten Jahr zu erzielen und nach 5 Jahren die 1 Mrd. EUR Schallgrenze zu durchbrechen. Deutsche Investoren würden schnell dazu neigen den Gründer als verrückt und übermütig zu erklären und mit der Hausaufgabe nach Hause zu schicken, den Businessplan doch noch einmal seriös durchzukalkulieren.
  • In den USA dagegen würde ein Start‑up Gründer einen gänzlich anderen Businessplan vorlegen. Danach würde das Geschäftsmodell keinen Umsatz bringen, sondern nur Miese einfahren. Aber dafür würden in den ersten 5 Jahren 1 Mrd. Benutzer für den kostenlos angebotenen Dienst gewonnen werden können. Daraufhin würde der Investor die ersten Millionen Dollar Series A Finanzierung auf den Weg bringen. In 3 Tagen wäre das Geld auf dem Konto. Der Gründer könnte in der Zwischenzeit schon Büros anmieten, Designer und Marketing Leute anheuern. Im nächsten Schritt würden dann weitere Entwickler eingestellt und Rechenkapazität aus der Cloud angemietet werden, um das Geschäftsmodell aus den Startlöchern zu kriegen.
  • In Deutschland würde bei einer Gründung gefragt werden welche Funktion eine App denn erfüllt. Aha und wie viel Umsatz kann damit in den ersten Jahren erzielt werden? Und die Sparkasse – so sagten sie – hat ihnen keinen Kredit für die Gründung gegeben. Naja irgendwie verstehen wir das Geschäftsmodell ja auch nicht. Ihre Lösung ist zu technisch. Überlegen sie sich lieber etwas einfacheres und kommen sie dann nochmal wieder.
  • In den USA dagegen würde es wie folgt laufen: Aha ihr Geschäftsmodell ist eine Technologie? So so, Blockchain heißt sie also. Und damit werden Banken und Versicherungen überflüssig? Das klingt verrückt und brillant! Wir von Crazy Funky Capitals verstehen die Technologie zwar noch nicht, aber wir sind dabei bevor andere zuschlagen.

Sowohl in Deutschland, Europa, Amerika oder anderswo auf der Welt werden Investoren ihren Job sicherlich auf ihre Art und Weise gewissenhaft ausüben. Und noch einmal der Hinweis, dass die vorausgegangen Start‑up Geschichten erfunden sind. Sie geben jedoch sicherlich den Kern wieder wie sich Start‑up- sowie Investitions- und Ideenkultur unterscheiden können. Fehlt es in Deutschland an Fantasie oder an Mut zur Fantasie. Und fehlt es an Mut zu Risiko für Neues? Sicherlich ist das in gewisser Weise so. Doch in Deutschland bzw. Europa existieren auch nicht dieselben gesetzlichen Voraussetzungen.

Es bedarf beispielsweise eines einheitlichen europäischen Marktes der die Monopole von Unternehmen wie Google, Facebook und Co. reguliert, sowie homogene Gesetze für mehr Wagniskapital, welches die Bedingungen für Wagniskapital-Geber verbessert, damit Unternehmen sich besser über solche Gelder finanzieren können[6]. Dann würden auch vermehrt ausländische Geldgeber angezogen werden. Denn die Monopole der derzeit dominierenden Player können nur durch große Mengen an Kapital durchbrochen werden, weil die Schaffung großer Märkte massive Investitionen erfordert, um entsprechend skalierende Netzwerkeffekte zu nutzen. Dass kleine Start‑ups mit ihren Ideen dies gelingen kann ist eine Illusion. Europa muss jetzt die Voraussetzungen schaffen, um die digitale Welt von morgen mitzubestimmen und den Scale-Up zu ermöglichen und zu schaffen. Die Initiative ScaleUp Europe[7] ruft im ScaleUp Europe Manifesto mit 49 Punkten daher zu entsprechenden Maßnahmen auf, die in die folgenden 6 Hauptthemen eingeteilt sind:

  1. Einheitlicher Binnenmarkt in Europa (Single Market)
  2. Mobilisierung von Kapital
  3. Talente Aktivieren
  4. Innovationen fördern
  5. Bildung ausweiten
  6. Monitor, Messen und Evaluieren

Bevor ein Start‑up sich überhaupt daran machen kann Wagniskapital zu besorgen liegen vielfach die Hürden bereits in der Gründung des Unternehmens an sich. Bis die erste GmbH gegründet ist müssen einige behördliche Hürden überwunden werden. Über den Delaware Harvard Business Services in den USA hingegen lässt sich eine Unternehmensgesellschaft mit wenigen Klicks gründen. Das geht auch vom Sofa in Deutschland aus. Delaware ist die inoffizielle Unternehmenshauptstadt der Vereinigten Staaten. Das liegt einerseits an dem herausragenden Service und andererseits sicherlich auch an steuerlichen Vorteilen. Ein in Delaware gegründetes Unternehmen ist jedenfalls eine gute Voraussetzung, um in den USA an Venture Kapital zu kommen. Im Silicon Valley trägt natürlich auch die Stanford University wie kaum eine andere Universität auf besondere Art und Weise zum Innovations- und Gründungsschub der Region bei.

Was Unternehmen bei allem Hype um Inkubatoren, Innovationshubs und Start‑ups auch gerne übersehen ist, dass die Vorbild-Unternehmen, die GAFAs, auch langfristig in neue Technologien investieren, um neue heute noch gar nicht existierende Märkte aufzubauen. Tesla hat Milliarden investiert um ein nun erfolgreiches und gefragtes Elektrofahrzeug zu entwickeln. Elon Musk selbst investiert Millionen in das private Raumfahrtunternehmen SpaceX. Google, Apple, Facebook und Amazon investieren alle massiv in das Thema künstliche Intelligenz und sogenannte Deep Learning Verfahren. Dabei gehen sie langfristig vor, weil sie darin die Zukunft sehen. Sie haben Visionen, die viele Jahre in die Zukunft reichen, und nicht nur auf eine drei Jahres Mittelfristplanung bzw. ausschließlich auf die kurzfristigen Interessen der Shareholder fokussieren. Und Mitarbeiter, die Visionen haben sollten nicht krank nach Hause geschickt werden, sondern es sollte ihnen Gehör und Spielraum geschenkt werden. Ein Lean-Startup oder Design Sprint Vorgehen wird jedenfalls nicht allein die Lösung und Rettung durch Innovation für die traditionellen Unternehmen sein, wenn sich sonst nichts ändert.

Die Digitalisierung wird auch viel zu häufig lediglich als Möglichkeit gesehen um die Effizienz zu steigern. Prozesse sollen effizienter und automatisiert werden, um Kosten an Personal sowie sonstiger Ressourcen einzusparen und noch schneller zu werden. Tatsächlich jedoch sind zur Digitalisierung von Prozessen zumeist zu Beginn massive Investitionen notwendig, insbesondere dann, wenn bestehende Strukturen umgebaut werden müssen. Investitionen, die dazu beispielsweise in IT notwendig wären, werden jedoch gescheut oder können nicht geleistet werden, obwohl sie in den Konzernen aktuell zumeist dringend notwendig wären. Denn in der Generation zuvor sind IT Systeme viel zu monolithisch aufgebaut worden. Die wichtigsten Kriterien waren damals Stabilität und Sicherheit. Heute geforderte Flexibilität, Agilität und Skalierbarkeit sind damit zum Teil nicht realisierbar. Die Flexibilität fehlt an vielen Stellen. Externe Partner können nur schwer eingebunden werden und auf der zum Kunden gewanden interaktiven Seite können neue Anforderungen nicht schnell genug umgesetzt werden. Innovationen werden so ausgebremst. Hinzu kommt, dass Digitalisierung und Automatisierung die Prozesse auch nicht automatisch schlanker macht. Dereinst brachte es Thorsten Dirks, der CEO der Telefónica Deutschland AG, auf den Punkt[8], in dem er sagte: „Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess“. Helfen können hier Ansätze wie Service Dominierte Architekturen[9], diedazu beitragen können eine bimodale IT der zwei Geschwindigkeiten (Two‑Speed) herzustellen mit sicheren und in ihrem Verhalten vorhersagbaren Kernsystemen auf der einen sowie von experimentellen, agilen und Kunden sowie Partnern zugewandten Applikationen auf der anderen Seite.

Auch frisst der Fetisch zur Optimierung der Effizienz die Fähigkeit wirksam Probleme zu lösen. Der Wirtschaftswissenschaftler Bill Janeway räumt mit dem Aberglauben der Effizienz in seinem Buch „Doing Capitalism in the Innovation Economy“ auf und bricht mit ökonomischen Lehrsätzen. Seine erste Kernthese lautet: Bahnbrechende technische Entwicklungen, echte disruptive Innovationen, sind ohne Verschwendung nicht möglich[10]. „Innovation bedeutet Versuch und Irrtum, Irrtum und Irrtum.“ Forschungsvorhaben, die scheitern, Zeitpläne, die nicht eingehalten werden, Ideen, die sich als nutzlos herausstellen – all die Verschwendung, die klassische Ökonomen schaudern lässt, eröffnet am Ende neue Möglichkeiten. Historische Betrachtungen belegen, dass Fortschrittssprünge zumeist mit massiver Verschwendung verbunden waren. Beispiele dafür sind der Eisenbahn-Boom des 19ten Jahrhunderts mit ruinösen “burn rates” bei dem investiertes Kapital mit nahezu absurder Geschwindigkeit “verbrannt” wurde. Ebenfalls brauchte der Netzausbau im Rahmen der Elektrifizierung Unmengen an Investitionen. Der Netzausbau wurde vorangetrieben, der eigentlich Abnehmermarkt musste jedoch erst noch geschaffen werden. Deshalb investierten Energieversorger und Netzbetreiber in den 70er Jahren massiv in Werbung für den Nutzen des elektrischen Stroms. Elektrische Haushaltsgeräte eroberten zum Glück die Haushalte und alles ging gut. Die Energieversorger und Netzbetreiber konnten so über Jahrzehnte Milliarden Einnahmen verbuchen.

Für das Dilemma zwischen Effizienz und Innovation (Effektivität) könnte organisationale Ambidextrie eine Lösung sein. Dabei sollen die Strukturen aus einer auf Effizienz und einer auf Innovation getrimmten Unternehmensorganisation und -Kultur zusammengeführt werden. Das bestehende Dilemma beschreibt Dr. Monika Setzwein in ihrem Blogbeitrag wie folgt:[11] „…Die auf Effizienz, Produktivität und Konformität fokussierten Konzernstrukturen stehen radikalen Innovationen im Wege. Wachstum entsteht hier vorrangig über inkrementelle Optimierungen. Ihre Innovationskultur ist geprägt von am Ausschöpfen orientierten sog. Exploit-Strategien. Ganz anders sieht hingegen die Innovationskultur der erfolgreichen digitalen Herausforderer aus. Hier stehen Agilität, Kreativität und Risikobereitschaft im Fokus. Ihre Strukturen sind gemacht für disruptive Innovationen, also echte Durchbruchsinnovationen, die Marktstrukturen aufbrechen, ganze Branchen erschüttern und selbst das eigene Geschäftsmodell kannibalisieren können. Ihre Innovationskultur ist geprägt von sogenannten Explore-Strategien, die auf das Erkunden und Entdecken von Neuem setzen…“

Was Clayton M. Christensen in seinem gleichnamigen Buch als „Innovator’s Dilemma“ bezeichnet, beschreibt Thomas Sattelberger, der ehemalige Vorstand Personal bei der Deutschen Telekom, in einem Interview mit der WirtschaftsWoche zu seinem Buch „Das demokratische Unternehmen“ mit den Worten[12]: „Deutschland ist nicht innovationsarm, aber Deutschland ist in der Art der Innovation arm. Wir schaffen hauptsächlich Effizienz- und Rationalisierungsinnovationen in den klassischen Branchen Maschinen- und Anlagenbau sowie Autobau. Die Basisinnovationen finden im Silicon Valley in Kalifornien, im Silicon Wadi rund um Tel Aviv, in Singapur oder in der Ära um Boston mit Harvard und dem MIT als Denkfabriken statt. Dort werden ganz andere Geschäftsmodelle generiert. Von dieser Entwicklung ist Deutschland abgekoppelt. Wir sind das Maschinenhaus der Welt und verteidigen uns gegen die Attacken von China, während die USA als das Digital House davoneilen.“

An dieser Stelle sollen einmal verschiedene Innovationsarten vorgestellt werden:

  1. Evolutorische Innovation (Nachfolgeinnovationen) wie
    1. Verbesserungsinnovationen bei denen bereits existierenden Produkte verbessert werden,
    1. Anpassungsinnovationen, bei denen aufgrund von bestimmten Kundenwünschen oder Kundenbedingungen Funktionen optimiert oder erweitert werden,
    1. Scheininnovationen bei dem an einem Produkt ausschließlich das Design verändert wird, ohne zusätzliche oder optimierte Produkteigenschaften zu schaffen.
    1. Imitationen sind Problemlösungen, welche andere Unternehmen bereits erfolgreich einsetzen und nun nachgeahmt werden
  2. Revolutionäre, Disruptive oder Sprung Innovation: Bei radikalen, disruptiven, revolutionären oder Sprunginnovation handelt es sich um Innovationen, die sowohl den Zweck des Gegenstandes bzw. Produktes wie auch die Mittel, mit denen der Zweck erreicht wird, vollständig verändern (Erfindung Automobil oder Erfindung des Smartphones)
  3. Basisinnovation: Ist eine Innovation die grundlegend für ein gesamtes Gebiet (z.B. Technikfeld) ist und durch dessen Einführung eine grundlegende Änderung der Einstellung, des Verhaltensmuster oder des Verfahrens eintritt (z.B. Einführung der Antibabypille oder Beton als neuer Baustoff)
  4. Erfindung: Eine Invention bei der eine Neuheit erstmalig auftaucht (z.B. Erfindung des Rad)
  5. Ein weiterer Ansatz ist das Lean Management[13], bei dem es primär darum geht eine Organisation auf Effizienz zu trimmen und Verschwendung zu vermeiden. Doch dies kann nicht alleine die Zukunft einer Organisation sicherstellen. Sicherlich ist es wichtig bestimmte Prozesse oder Aktivitäten insbesondere, wenn sie häufig wiederholt werden von überflüssiger Verschwendung zu befreien. Fortschritt und Innovation scheinen jedoch zwingend auch Freiraum, Freiheit und gerade auch Verschwendung zu benötigen. Es bedarf also einer Kombination aus auf der einen Seite lean um effizient zu sein und auf der anderen Seite bedarf es Verschwendung und Agilität, um effektiv sein zu können. Und Unternehmen benötigen, um Innovationen hervorzubringen Intrapreneure, also Mitarbeiter, die in großen Organisationen arbeiten und dabei wie Entrepreneure denken sowie handeln und dabei innovativ sowie agil sind. Doch dazu müssen in Unternehmen und Organisationen auch die entsprechenden Rahmenbedingungen vorherrschen. Und laut Uwe Tigges dem ehemaligen CHO und späteren CEO von innogy braucht es dazu eben auch ein Umdenken im Management[14]: „Wir brauchen eine Entwicklung vom Manager als Fachexperten zum People Manger. Sie müssen selbst unkonventioneller denken und Neues wagen.“

Einige Experten sehen nach dem Eisenbahn‑Boom, der Tulpenmanie, bei der im Jahr 1637 der überhitze Markt für Tulpenzwiebeln kollabierte, der Dotcom‑blase im Jahr 2000 und zuletzt der Immobilien-Blase, die zur Subprime‑Finanzkrise ab dem Jahr 2007 führte, nun in dem aktuellen Investitions‑Hype in Start-up Unternehmen das Risiko einer neuen Spekulationsblase[15], die möglicherweise bald platzen könnte? Ob es sich tatsächlich um eine Blase handelt, mag jeder für sich beurteilen. Die Hinweise liegen jedenfalls vor. So wird ein Unternehmen wie Uber ohne Sachwerte mit ca. 56 Mrd. EUR bepreist. Microsoft hat das Unternehmen LinkedIn für 23 Mrd. EUR gekauft, obwohl es nach über 13 Jahren immer noch Verluste einfährt[16]. Ein klassisches Unternehmen mit klassischen Assets wie BMW wird mit 40 Milliarden oder die Deutsche Post mit 30 Milliarden bewertet. Hinzukommt, dass die Zinsen sich auf einem Tiefststand befinden, von dem aus sie nur nach oben gehen können. Mit einer Erhöhung der Zinsen würde das billige Geld ausgehen, um den Hype weiter zu befeuern. Wir können jedoch beruhigt sein. Denn, wie einige Absätze zuvor erläutert, führten übertriebene Verschwendung historisch zu Krisen, aber auch zu darauffolgenden massiven Fortschritt. Also, es wird alles gut, zumindest in dieser Hinsicht!

Bei vielen Unternehmen herrscht aktuell vielfach der Glaube, dass nur junge Talente, die sogenannten Digital Natives, oder externe Experten, aber auf keinen Fall die eigenen, interne, und erfahrenen „alten“ Mitarbeiter die Digitale Transformation meistern können. Die Studie „Datenland Deutschland: Talent meets Technology – Data Analytics und der menschliche Faktor“[17] von Deloitte jedenfalls scheint zu bestätigen, dass es deutschen Unternehmen an Talenten im Bereich Data Analytics bzw. Data Science fehlt und dadurch die Digitalisierung verschlafen wird. Das Beratungsunternehmen Capgemini spricht vom „Digital Talent Gap[18]. Der sog. „War for Talents[19] ist jedenfalls voll im Gange. Aus diesem Grunde werden beispielsweise auch E‑Sports Programme aufgelegt, um darüber die jungen digitalen „Wilden“ zu rekrutieren[20]. Sie bekommen dann die Möglichkeit einen Teil ihrer Arbeitszeit zu nutzen, um an E‑Sports Turnieren z. B. in der NGL-Fifa-Liga teilzunehmen bzw. sich auf die Turniere vorzubereiten. Doch viele dieser Maßnahmen nützen nur bedingt und die Grundannahme dazu ist möglicherweise sogar ziemlich fatal. Laut Manager-Magazin[21] und Deloitte[22] Studie sei die Generation Y und Z tatsächlich mit der Arbeitswelt überfordert und läuft schnell weg, sobald es mal unangenehm wird. Doch vielleicht liegt das ja auch mehr an verknöcherten und wenig Gestaltungsspielraum gebenden Strukturen. Des Weiteren können Kenntnisse über das alte Geschäftsmodell und über die bestehenden Prozesse für die Transformation fundamental wichtig sein. Meist sind jedoch die operativ tätigen Bestandsmitarbeiter mit dem Tagesgeschäft überlastet und es fehlen vielmehr die Freiräume für die Gestaltung des Wandels oder die Inanspruchnahme entsprechender Weiterbildungsmaßnahmen. Vorhandene Potenziale können so nicht genutzt werden. Die Ambidextrie bei der das Unternehmen in einen innovativen und einen operativen Teil gespalten wird, würde auch nicht dazu beitragen vorhandenes Wissen integrativ nutzen zu können. Alternative Ansätze könnte das Google Modell „20 percent time“[23] sein. Dabei wird jedem Mitarbeiter 20 Prozent seiner Arbeitszeit eingeräumt, um an eigenen Ideen und Innovationen zu arbeiten, die mit dem Unternehmenszweck und Unternehmenssinn übereinstimmen. Bei Google sind dadurch Produkte wie Google News, Google’s autocomplete system, Gmail und die digitale Werbe-Engine AdSense entstanden, mit dem Google im Jahr 2013 bereits ein Viertel seiner Einnahmen genierte[24].

Statt strategisch langfristig und nachhaltig wird vielfach lediglich taktisch agiert, um kurzfristige Ziele zu erreichen und die Interessen der Shareholder zu befriedigen. Ein Problem auf dem Weg der Zielerreichung sind jedoch nicht nur vielfach fehlendes „Digital“ Know-how der bestehenden Mitarbeiter, sondern auch maßgeblich fehlendes Know-how und mangelndes Verständnis für damit verbundene Zusammenhänge, Kausalitäten und Wechselwirkungen auch bei Managern in wichtigen Positionen. Dadurch werden wichtige Entscheidungen nicht, Entscheidungen zu defensiv oder sogar falsche Entscheidungen getroffen, was vielfach daran liegt, dass Dinge nicht gehört, nicht verstanden oder entdeckte Korrelationen fälschlicherweise mit Kausalitäten gleichgesetzt bzw. verwechselt werden[25]. Ein Beispiel für eine Korrelation, die fälschlicherweise als kausaler Zusammenhang gewertet werden kann, wäre dass Menschen mit größerer Schuhgröße tendenziell ein höheres Einkommen haben. Würde darin ein kausaler Zusammenhang bestehen, dann müsste am nächsten Tag lediglich ein Paar größere Schuhe gekauft werden und schon würde das Gehalt steigen. Falsch interpretierte Korrelationen sind auch mit ein Grund, warum viele größere Unternehmen neuartige Arbeitsweisen von Start-up Unternehmen und von erfolgreichen „Silicon Valley“ Unternehmen kopieren. Denn sie sehen, dass ja diese Unternehmen damit erfolgreich sind. Dennoch bleibt der Erfolg häufig aus, weil eben nicht die Haltung der Mitarbeiter, nicht deren Visionen und auch nicht das entsprechende Umfeld vorhanden sind.

Viele Unternehmen müssen auch deshalb auf den Erfolg warten, da sie in der Tradition des vergangenen Industriezeitalters viel zu arbeitsteilig im tayloristischen Sinne arbeiten. Organisationseinheiten wie Marketing, Produktmanagement, Produktentwicklung etc. sitzen häufig nicht eng genug beieinander. Die Folge können aber nicht nur falsche Entscheidungen, sondern auch Frustration sowie Demotivation bei den Fachkräften – den sog. Wissensarbeitern – und Verluste im Milliardenbereich (mehr als 700 Mrd. EUR) sein, die der deutschen Volkswirtschaft angeblich jährlich entstehen. Die Crux scheint dabei zu sein, dass eben einerseits die Managementkultur eher immer noch so ist, dass die Entscheidungen ausschließlich von Führungskräften gefällt werden. Wohingegen die Kompetenz um fachliche Entscheidungen beurteilen zu können mehr und mehr in einer zunehmend komplexen Welt bei den Mitarbeitern bzw. den Fachkräften selbst liegt. Zusätzlich fehlt häufig auch für ein Produkt oder einen Prozess die echte ganzheitliche Ende-zu-Ende (End-to-End = E2E) Sicht und Verantwortlichkeit, die von der Entwicklung, über die Vermarktung bis zum Aftersales-Service reicht.

In der Hays Studie „WISSENSARBEIT IM WANDEL“ aus dem Jahr 2017 sagt Manfred della Schiava von Wissensberater International AG[26]: „Eine Führungskraft muss es ermöglichen, dass Wissensarbeiter selbstständig Entscheidungen treffen, und muss den Rahmen dafür schaffen. Führung ist Systemarbeit – mit all der Komplexität, die es hierbei zu gestalten gilt. Und Führung heißt auch, Verantwortung wahrzunehmen – das wird bei der Diskussion um Selbstorganisation und Holacracy häufig vergessen. Die Schwächen von Führungskräften treten in flexiblen neuen Systemen viel deutlicher in Erscheinung. Es wird immer schneller klar, welche Führungskraft Kompetenz hat und welche nicht.“

Und ein Kernergebnis aus derselben Studie lautet:

„SPEZIALISIERUNG VERHINDERT DEN BLICK ÜBER DEN TELLERRAND: Der Großteil der Fach- und Führungskräfte ist sich einig, dass durch die Digitalisierung der Grad der Spezialisierung zunimmt. Was aus Effizienz- und Wettbewerbsgründen notwendig erscheint, birgt jedoch mit Blick auf die Kompetenzentwicklung der Wissensarbeiter und die Agilität der Unternehmen beträchtliche Risiken. Denn gefragt sind Generalisten mit breitem Wissen und generischen Fähigkeiten, doch es fehlen die Zeit und der Rahmen, um diese Kompetenzen aufzubauen.“

Statt überwiegend hochspezialisierter Experten bedarf es also mehr an Generalisten. Denn der Experte weiß immer mehr über immer weniger, bis er am Ende alles über nichts weiß (Peter Drucker). Hochspezialisierte Experten können primär evolutionäre Innovation hervorbringen. Generalisten können hingegen disruptive Innovationen oder Revolutionen schaffen.

Wissensarbeiter[27] (auch knowledge worker oder professionals) – ein Begriff, der 1959 von Peter Drucker in seinem Buch “The Landmarks of Tomorrow” in der Literatur eingeführt wurde – sind hoch qualifiziert und haben eine besondere wissenschaftliche bzw. akademische Ausbildung. Ihr individuelles Wissen und ihre Fähigkeiten sind stark mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt ihres Fachbereichs verbunden. Sie können zum Beispiel Ärzte, Architekten, Sachverständige, Berater, Experten, Gutachter, Planer oder andere Spezialisten sein.

Die zunehmende Spezialisierung von Arbeitskräften führt zu solchen „Wissensarbeitern“, welche ihre raren Kompetenzen meistens in mehreren Projekten einbringen müssen. Gleichzeitig sind gerade auf Grund des fragmentierten Wissens jedoch immer mehr interdisziplinäre organisationsübergreifende Projekte notwendig, um ganzheitliche Lösungen zu entwickeln. Unternehmen müssen sich also extrem horizontal vernetzen, um die erforderlichen verschiedenen Wissensgebiete zusammenzubringen. Dabei gilt es Silodenken abzubauen. Auch gilt es für Unternehmen und Organisationen durchlässiger zu werden. Denn Mitarbeiter sollten im Laufe des Berufslebens unterschiedliche Tätigkeiten ausüben und unterschiedliche Bereiche kennenlernen können, um sich so Crossoverqualifikationen anzueignen und zu Generalisten werden zu können. Der Generalist kennt den häufig sinkenden Grenznutzen von Spezialisierungswissen für die Projektergebnisse.

In Managementpositionen deutscher Unternehmen gibt es deutlich zu wenige Tekkies bzw. zu wenige Generalisten mit Technologieverständnis und stattdessen scheinbar zu viele Wirtschaftswissenschaftler, Juristen oder Kaufleute. Denn so schreibt Andreas Barthelmess in seinem Gastbeitrag „Auf zum Mond!“[28] in der Zeit Ausgabe Nr. 41/2017: „Das nächste Google wird wieder nicht von einem Betriebswirt gegründet. Es ist darum höchste Zeit, Europa digital auf die Sprünge zu helfen“. Wieland Holfelder der Entwicklungschef von Google Deutschland meint, dass jeder zu Computational Thinking in der Lage sein sollte, selbst ein Bäcker, Landwirt oder Schreiner[29]. Denn nur wer versteht was Algorithmen und Computer Science alles können, was Data Analytics, Machine Learning und künstliche Intelligenz bedeutet, ist in der Lage diese technologischen Werkzeuge zu nutzen, um im Beruf und Business zukünftig erfolgreich zu sein. Die Gründer bzw. auch die heutigen CEOs der großen Internetkonzerne Google, Amazon, Facebook, Apple aber auch von Unternehmen wie Microsoft oder des Unternehmen SAP sind alle ehemalige Informatiker bzw. Techniker. Die Gründer im Silicon Valley sind Technik-Nerds (Tekkies) und keine Betriebswirte. Gemäß einer Studie des Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) droht Deutschland beim Thema Digitalisierung abgehängt zu werden und landete beim internationalen Vergleich nur auf Platz 17[30]. Demnach herrscht bei einem Großteil der Manager immer noch die Meinung, dass das, was da Hippes bei Google, Facebook und Amazon abgeht, für das eigene Unternehmen nicht relevant sei. Dies ist sehr kurzsichtig gedacht.

Wichtig für die Digitalisierung ist also eine Offenheit für Neues, Innovationen, eine Veränderung der Kultur – und gerade bei der Veränderung von Kultur können die jungen Digital Natives definitiv helfen, denn dazu reicht nicht ein joviales „Du“ oder das Weglassen der Krawatte. Ebenso wichtig sind ein übergreifendes Verständnis für Technologie, insbesondere für IT, digitale Medien und digitale Kanäle, Know-how für wirtschaftliche Zusammenhänge, Vertrieb, Marketing sowie ein Gespür für aktuelle und zukünftige technologische sowie gesellschaftliche Trends. Solch ein Trend sind beispielsweise die sogenannten Digital Plattform Ökonomien, die es bisher hauptsächlich im Bereich B2C (für Endkunden) und nun auch zunehmend im Bereich B2B für Geschäftskunden gibt. Uber, Airbnb, Amazon, Zalando, Foodora nutzen diese Ansätze. Sie alle binden Dritte in die Wertschöpfung mit ein und die Unternehmen selbst stellen lediglich den zentralen Touchpoint und Zugang zum User bzw. Kunden bereit. So verkaufen beispielsweise zahlreiche Unternehmen ihre Produkte nicht an eigene Endkunden, sondern an die Endkunden von Amazon. Foodora holt beispielsweise die über das Foodora Portal bzw. die Foodora-App bei den Restaurants ausgelösten Essens-Bestellungen ab und liefert sie per Fahrradkuriere an die Kunden nach Hause. Aber auch die großen Social Media Plattformen bzw. Kanäle wie Facebook, Twitter, WhatsApp oder YouTube gehören zu solchen Plattformökonomien dazu. Vielfach wird bei solchen Modellen der Kunden- bzw. User-Stamm zunächst über Freemium Angebote aufgebaut. Die angebotenen Dienstleistungen des Unternehmens können dann zu Beginn oder mit einem eingeschränkten Funktionsumfang kostenlos genutzt werden. Beim Musik Streamingdienst Spotify kann die Musik auf einem Smartphone kostenlos abgespielt werden. Möchte man die Musik zu Hause jedoch auch auf Streaming fähigen Musikanlagen oder Lautsprechern abspielen, dann muss auf eine gebührenpflichtige Premium-Mitgliedschaft gewechselt werden. Wenn ein Unternehmen ganz geschickt ist, baut es ein ganzes Ökosystem an Dienstleistungen für seinen User-Stamm auf, so wie es Amazon gemacht hat. Vom Buchhändler zum Weltgrößte Online-Shop, weiter zum Video-Streaming Dienstleister hin zum persönlichen digitalen Assistenten mit Amazon Alexa und sogar hin zum professionellen Cloud Anbieter. Unternehmen brauchen das Verständnis für die Grundprinzipien der neuen Geschäftsmodelle in der digitalen Welt, deren Basis die neuen Technologien sind, ansonsten wird die disruptive Welle der Digitalisierung sie überrollen. Statt konvergentes Denken und damit eher angepasstem Denken, wird dafür ein ganzheitliches und divergentes Denken (laterales Denken, Querdenken) gepaart mit Kreativität und einem auf Vertrauen basierendem Umfeld benötigt. Dann können der Wandel bzw. die Innovation aus eigener Kraft gelingen.

Beim Thema Innovationen wird bei vielen Unternehmen bisher jedoch lediglich in neuen Funktionen und Features der bestehenden Produkte oder Services gedacht, die zum Kunden gebracht werden. Tatsächlich sind das eher kleine Evolutionsschritt, also Formen von Variationen des Bestehenden. Echte Innovation hingegen verändert Menschen und Gesellschaft. Daher müssen Unternehmen beim Investment in Innovationen bzw. auch generell ein Gespür für gesellschaftliche Trends und Entwicklungen mit Blick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen haben. Die Frage, die es im Blick zu behalten gilt, lautet: Wie werden und sollen die Dinge also Mensch und Gesellschaft zukünftig verändern?

Die Lösung für das Innovationsdilemma liegt in der Steigerung von Effektivität und nicht lediglich in der Steigerung der Effizienz. Statt wie bereits erwähnt müssen sich Unternehmen nicht die Frage stellen, wie sie die Dinge, die sie tun effizienter tun können. Stattdessen muss die Frage lauten, wie man die richtigen Dinge richtig und anders tun kann, um effektiver zu sein. Vielleicht bietet sich für diejenigen, die die erste Phase der Digitalisierung verpasst haben, bei der hauptsächlich Software im Mittelpunkt stand, bald eine neue Chance, wenn intelligente Software und Maschinen weiter zusammenwachsen werden.

Vielerorts wird Fortschritt und unternehmerisches Wachstum basierend auf neuen digitalen Technologien durch Gesetze, die Fokussierung auf die Risiken sowie Bedenkenträgertum behindert. Bei den Technologieunternehmen im Silicon Valley herrscht dagegen eine extreme Affinität zu digitalen Technologien, aber auch Technologie insgesamt bis hin zu einer extremen Technologiegläubigkeit als Lösung für die Menschheitsprobleme. Evgeny Morozov hat dafür den Begriff des „Solutionismus“ geprägt[31]. Viele Unternehmen sind derzeit noch sehr klassische Ingenieursunternehmen und bei weitem noch nicht so affin zu den Digital Technologien. Unternehmen im Silicon Valley sind jedoch davon überzeugt, dass nur durch neue Technologien und insbesondere der Digitalisierung die Welt zwangsläufig besser wird bzw. gerettet werden kann. Die Folgen der durch die Technologiegläubigkeit entstehenden Entwicklung sind jedoch tatsächlich nicht kontrollierbar und von niemandem abschätzbar. Werden wir Künstliche Intelligenz stets beherrschen können? Wird sie immer ein Assistent der Menschen bleiben. Oder droht die Gefahr, dass der Mensch die vorherrschende Stellung als dominierende Spezies verliert und die Maschinen die Weltherrschaft an sich reißen? Werden die Daten und Algorithmen von den Organisationen und Unternehmen stets ausschließlich dafür genutzt werden, den Menschen mehr Komfort und Nutzen zu liefern, oder werden sie zur Kontrolle und Steuerung missbraucht werden? Niemand kann das zum jetzigen Zeitpunkt sagen und deswegen muss der Einsatz von Technologie kontrolliert werden ohne dabei Fortschritt zu verhindern. Ansonsten bauen wir uns vielleicht die nächste „Atombombe“. Hier gilt es achtsam zu sein, aber auch optimistisch und lösungsorientiert. Denn die nächste und übernächste technologische, industrielle und gesellschaftliche Revolution kommt bestimmt.

Unternehmen, die die aktuelle Digitale Transformation erfolgreich überstehen wollen, dürfen jedenfalls nicht nur den Fokus auf kurzfristige Gewinne legen. Sie brauchen eine Vision der Zukunft, um auf die richtigen zukünftig erfolgreichen Trends zu setzen und selbst zu Gestaltern der Zukunft zu werden. Peter Thiel spricht in seinem Buch „Zero to One“ davon, dass es eines „konkreten Optimismus“ bedarf, über den „unkonkrete Optimisten“ nicht verfügen, da sie keinen Plan von oder keine Idee für die Gestaltung der Zukunft haben. Der „konkrete Optimist“ hingegen, will etwas Wesentliches in der Zukunft erreichen und blickt dabei auch bis zu 10 Jahre oder weiter in die Zukunft. Elon Musk beispielsweise will den Mars besiedeln, um die Menschheit zu retten[32].

Wer ein Unternehmen gründen will, sollte sich laut Peter Thiel folgende sieben Fragen stellen und beantworten können[33]:

  1. Die technische Frage: Ist deine Technologie bahnbrechend, oder bietet sie nur marginale Verbesserungen von etwas bereits Bestehendem?
  2. Die Timing-Frage: Ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um in dein Unternehmen zu investieren?
  3. Die Monopol-Frage: Beginnst du mit einem großen Anteil an einem kleinen Markt?
  4. Die Team-Frage: Bist du von den richtigen Leuten umgeben?
  5. Die Vertriebs-Frage: Kannst du dein Produkt nicht nur herstellen, sondern auch an den Kunden bringen?
  6. Die Haltbarkeits-Frage: Wird deine Marktposition in zehn und 20 Jahren noch zu halten sein?
  7. Die Geheimnis-Frage: Hast du eine einzigartige Gelegenheit entdeckt, die die anderen nicht sehen?

Fazit: Egal ob Start-up, Grown-up oder „alteingesessener“ Konzern, es gilt wie C. Otto Scharmer – der Begründer der Theorie U – es formuliert von der Zukunft her zu führen.

Bei der Digitalen Transformation müssen die Menschen und auch die Mitarbeiter im Fokus stehen und sie sind während der Transformation mit auf eine Reise zu nehmen. Vielfach wird am Ende der eignen Transformation eines Unternehmens dann ein ganz neues Unternehmen entstanden sein. Wolf Lotter sagt in seinem sehr geistreichen kleinen Büchlein „Innovation – Streitschrift für barrierefreies Denken“: „Es braucht Visionäre und Utopisten in den Unternehmen…Innovation ist der berechtigte Anlass für die Hoffnung, dass es besser wird. Der Beweis, dass die Zukunft existiert. Dass es einen Fortschritt gibt, eine Perspektive…Innovationen lösen oder verringern Probleme und erhöhen Chancen“ Es bleibt abzuwarten, ob es den Unternehmen und Institutionen, die die bisherige Welle der Digitalisierung insbesondere in Europa verschlafen haben, nun gelingen wird die Kurve zu kriegen. Amerika, China, Russland und andere Länder werden sicherlich nicht schlafen. Es besteht jedoch für jeden die Chance in der nun startenden zweiten Welle der Digitalisierung, bei der Software und Maschine mehr und mehr miteinander verschmelzen, eine führende Vorreiterrolle einzunehmen.


[1] Welt.de (2015) – Die CD hat den Kampf gegen das Streaming verloren –https://www.welt.de/wirtschaft/article139554425/Die-CD-hat-den-Kampf-gegen-das-Streaming-verloren.html (abgerufen: 06.01.2018)

[2] Peter Korneffel – Handel mit gefrorenem Wasser: Der Eiskönig von Boston – Spiegel Online (12.4.2008) – http://www.spiegel.de/wirtschaft/handel-mit-gefrorenem-wasser-der-eiskoenig-von-boston-a-546120.html (abgerufen: 21.01.2018)

[3] Nohn, Corinna – Alisée de Tonnac: „Mehr als einen Monat kann ich nie im Voraus planen“- WirtschaftsWoche (2016) – http://www.wiwo.de/alisee-de-tonnac-mehr-als-einen-monat-kann-ich-nie-im-voraus-planen/14639170.html (abgerufen: 06.01.2018)

[4] David Teten – Should Your Startup Persevere, Pivot, or Shut down? Forbes (5.4.2003) – https://www.forbes.com/sites/davidteten/2013/04/05/should-your-startup-persevere-pivot-or-shut-down/#7c30e0d11310 (abgerufen: 22.01.2018)

[5] Wolfangel, Eva – Die Mär vom rasenden Fortschritt – Technology Review von Heise.de (28.08.2017) –- https://www.heise.de/tr/artikel/Die-Maer-vom-rasenden-Fortschritt-3813149.html (abgerufen: 06.01.2018)

[6] Andreas Barthelmess – Europa, verheize deine Talente nicht! – Spiegel Online (25.11.217) – http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/start-up-gruender-europa-verheize-deine-talente-nicht-a-1178515.html (abgerufen: 21.01.2018)

[7] http://scaleupeuropemanifesto.eu/ (04.08.2018)

[8] Fritzges, Bernd – Wenn sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess (7.12.2015) – http://pregas.de/allgemein/item/wenn-sie-einen-scheissprozess-digitalisieren-dann-haben-sie-einen-scheiss-digitalen-prozess/ (abgerufen: 06.01.2018)

[9] Prof. Dr. Markus Warg / Dr. Ronald Engel – Service-Dominierte Architektur (SDA): Kernkomponente digitaler Transformation – Zeitschrift für Versicherungswesen 12/2016 – https://www.sda-se.com/fileadmin/media/wissenschaftliches-center/SDA-in_ZfV_Heft_12_06-2016_DEUTSCH.pdf (abgerufen: 06.01.2018)

[10] Stieler, Wolfgang – Mut zur Verschwendung – Technology Review von Heise.de (09.11.2016) – https://www.heise.de/tr/artikel/Mut-zur-Verschwendung-3456106.html (abgerufen: 06.01.2018)

[11] Dr. Monika Setzwein – Ambidextrie: Lösung für das deutsche Innovationsdilemma? – blog.setzwein.com (12.5.2016) – http://blog.setzwein.com/2016/05/12/ambidextrie-loesung-fuer-das-deutsche-innovationsdilemma/ (abgerufen: 06.01.2018)

[12] Claudia Tödtmann – Buchausauszug: „Das demokratische Unternehmen“ von Thomas Sattelberger – WirtschaftsWoche (21. September 2015) – http://blog.wiwo.de/management/2015/09/21/exklusiv-buchausauszug-das-demokratische-unternehmen-von-thomas-sattelberger/ (abgerufen: 06.01.2018)

[13] Don’t Panic: The Facts About Population (“Don’t Panic” is a one-hour long documentary produced by Wingspan Productions and broadcasted on BBC on the 7th of November 2013) – GAPMINDER – http://www.gapminder.org/videos/dont-panic-the-facts-about-population/ (abgerufen: 06.01.2018)

[14] https://www.linkedin.com/pulse/intrapreneure-erfolgsfaktor-oder-sprengsatz-für-uwe-tigges  (14.08.2018)

[15] Cole, Tim – Die nächste Blase platzt bestimmt! – LinkedIn (9. August 2017) – https://www.linkedin.com/pulse/die-n%C3%A4chste-blase-platzt-bestimmt-tim-cole (abgerufen: 06.01.2018)

[16] Stephan Dörner, Karsten Seibel, Nina Trentmann – Die neue Furcht vor der großen Start-up-Blase – Welt.de (15.06.2016) –https://www.welt.de/wirtschaft/article156241767/Die-neue-Furcht-vor-der-grossen-Start-up-Blase.html (abgerufen: 06.01.2018)

[17] Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – Studie Talent meets Technology

Datenland Deutschland (09.2015) – https://www2.deloitte.com/de/de/pages/trends/datenland-deutschland-data-talent.html (abgerufen: 06.01.2018)

[18] The Digital Talent Gap: Developing Skills for Today’s Digital Organizations – Capgemini (27. September 2013) – https://www.capgemini.com/resources/the-digital-talent-gap-developing-skills-for-todays-digital-organizations/ (abgerufen: 06.01.2018)

[19] War for Talents: Firmen kämpfen um junge Nachwuchs-Talente – Absolventa (22. November 2017) – https://www.absolventa.de/karriereguide/tipps/war-for-talents (abgerufen: 06.01.2018)

[20] Carsten Dierig, Daniel Wetzel – Ökostrom-Riese bringt E-Sport-Team an den Start – Welt.de (10.09.2017) – https://www.welt.de/wirtschaft/article168484555/Oekostrom-Riese-bringt-E-Sport-Team-an-den-Start.html (abgerufen: 06.01.2018)

[21] Jakob Osman – Die überforderte und überschätzte Generation Y: Gute Nacht, Millennials! – manager magazin (07.09.2017) – http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/generation-y-millennials-sind-ueberfordert-und-ueberschaetzt-a-1166054.html (abgerufen: 06.01.2018)

[22] Generation Y ist überfordert: Der Deloitte Millennial Survey 2016 zeigt: 34 Prozent der Deutschen wollen kündigen – Deloitte GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (13. Januar 2016) – https://www2.deloitte.com/de/de/pages/presse/contents/studie-2016-millennial-survey.html (abgerufen: 06.01.2018)

[23] Alex K – Google’s “20 percent time” in action (18.5.2006) – https://googleblog.blogspot.de/2006/05/googles-20-percent-time-in-action.html (abgerufen: 06.01.2018)

[24] Yan Tate -GOOGLE COULDN’T KILL 20 PERCENT TIME EVEN IF IT WANTED TO – Wired (08.21.1306) – https://www.wired.com/2013/08/20-percent-time-will-never-die/ (abgerufen: 06.01.2018)

[25] WER ARBEITET HIER EIGENTLICH NOCH? – Manager Magazon (Ausgabe 10/2017) – https://heft.manager-magazin.de/MM/2017/10/153235981/index.html (abgerufen: 06.01.2018)

[26] HAYS-WISSENSARBEITERSTUDIE 2017 – Hays AG (2017) – https://www.hays.de/personaldienstleistung-aktuell/presse-mitteilung/presse-studie-wissensarbeit-im-wandel-2017 (abgerufen: 06.01.2018)

[27] http://wiki.iao.fraunhofer.de/index.php/Wissensarbeiter (abgerufen: 08.04.2018)

[28] http://www.zeit.de/2017/41/digitalisierung-europa-zukunft-massnahmen

[29] https://www.linkedin.com/pulse/wie-der-entwicklungschef-von-google-deutschland-arbeitet-sara-weber

[30] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/studie-des-zew-deutschland-nachholbedarf-bei-digitalisierung-a-1159407.html

[31] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Evgeny-Morozov-prangert-Solutionismus-an-1812958.html

[32] http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/elon-musk-spricht-bei-sxsw-ueber-mars-besiedlung-spacex-und-ai-a-1197585.html (04.08.2018)

[33] https://t3n.de/news/7-fragen-ueber-erfolg-startup-580472/ (31.07.2018)

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