Digitalotopia – Kapitel 3.2 – Rechenleistung und digitale Assistenten

Exponential growth of computing. 20th to 21st centuries. 5 July 2005 (UTC), Autor: Courtesy of Ray Kurzweil and Kurzweil Technologies, Inc.; Soure: https://en.wikipedia.org/wiki/File:PPTExponentialGrowthof_Computing.jpg (abgerufen: 19.01.2018)

Nach dem sogenannten Moore’schen Gesetz[1] steigen bei Computern bzw. Mikrochips die Rechenleistung und umgekehrt proportional die Größe exponentiell. Computer werden also immer leistungsfähiger und immer kompakter[2]. Die Prognosen dazu sind die Folgenden:

  • Wir erreichen das Äquivalent der Rechenleistung eines menschlichen Gehirns für $ 1000 im Jahr 2023.
  • Wir erreichen das Äquivalent der Rechenleistung eines menschlichen Gehirns für 1 Cent im Jahr 2037.
  • Wir erreichen das Äquivalent der gesamten biologischen Rechenleistung der Menschheit für $ 1000 im Jahr 2049.
  • Wir erreichen das Äquivalent der gesamten biologischen Rechenleistung der Menschheit für 1 Cent im Jahr 2059.

PPTExponentialGrowthof_Computing

Exponential growth of computing. 20th to 21st centuries. 5 July 2005 (UTC), Autor: Courtesy of Ray Kurzweil and Kurzweil Technologies, Inc.; Soure: https://en.wikipedia.org/wiki/File:PPTExponentialGrowthof_Computing.jpg (abgerufen: 19.01.2018)


Anmerkung der Redaktion:

Dieser Text gehört zum Buchmanuskript “Digitalotopia – Sind wir bereit für die (R)Evolution der Wirklichkeit?”

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Durch diesen Trend der zunehmenden Rechenkapazität und dadurch, dass Algorithmen gerade im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) durch künstliche neuronale Netze und Deep Learning Verfahren aktuell unglaubliche Fortschritte erzielen, verändert sich die Art und Weise wie wir mit Computern interagieren und welche Möglichkeiten sich dadurch ergeben werden. Es könnte zukünftig jedoch auch zu einem Ende dieser exponentiellen Entwicklung beim Leistungszuwachs von Prozessoren kommen. Denn sie sind mittlerweile so klein gebaut, dass physikalische Grenzen dieser Technologie erreicht sein könnten. Denn kleiner als Atom geht erstmal nicht. Daher wird versucht Computerchips in die Höhe und somit quasi Dreidimensional zu bauen. Auch versprechen Computer auf Basis von Graphen, bei dem es sich um zweidimensionale Kohlenstoffstrukturen handelt, eine 1000 Fach höhere Leistung bei deutlich reduziertem Energieverbrauch[3]. Auch die dem Gehirn architektonisch nachempfundenen neuromorphen Computersysteme können Vorteile bieten, da sie eine höhere Fehlertoleranz und einen niedrigeren Verbrauch aufweisen. Und ein weiterer Riesenschritt zu höheren Leistungen kann die Quantencomputer-Technologie sein. Es konnten damit bereits erste Erfolge erzielt werden. Quantencomputer sind bisher jedoch noch sehr groß und sehr teuer. Außerdem eignen sie sich bisher nur für wenige Anwendungsfälle. Anwendungsfälle sind beispielsweise Suchanfragen oder Verschlüsselungen. Das Start-ups Rigetti behauptet ohne jedoch den Beweis erbracht zu haben, dass sich Quantencomputer besonders für das Maschinenlernen eignen[4]. Noch konnte die sogenannte Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy), ab der Quantencomputer Aufgaben übernehmen können, die für konventionelle Rechner nicht mehr zu lösen sind, in der Praxis jedoch noch nicht demonstriert werden.

Würde sich die Entwicklung entsprechend des Moor’sche Gesetztes fortsetzen, könnte in nicht allzu ferner Zukunft alles nicht mehr nur smart, sondern vieles könnte superintelligent werden. Um dieses Ziel zu erreichen arbeiten aktuell Forscher am sogenannten Human Brain Project[5] (HBP). Es ist ein Großprojekt der Europäischen Kommission, welches das gesamte Wissen über das menschliche Hirn zusammenfassen und mittels computerbasierter Modelle und Simulationen nachbilden soll. Als Ergebnis werden neue Erkenntnisse über das menschliche Gehirn, seine Erkrankungen sowie neue Computer- und Robotertechnologien erwartet.

„High-Level Machine Intelligence” (HLMI) bezeichnet ein Level der künstlichen Intelligenz ab dem Maschinen jede Aufgabe besser und kostengünstiger erledigen können als menschliche Arbeitskräfte[6]. Laut der Studie[7] (Mai 2018) „When Will AI Exceed Human Performance?“ von Katja Grace, John Salvatier, Allan Dafoe, Baobao Zhang and Owain Evans kann HLMI mit einer 50% Chance innerhalb der nächsten 45 Jahre möglich sein und mit einer 10% Chance innerhalb der nächsten 9 Jahre.

Gehen die Entwicklungen im Bereich KI noch weiter steuern wir zunehmend auf einen Zeitpunkt zu, der technologische Singularität genannt wird. Das ist der Zeitpunkt ab dem künstlich superintelligente Maschinen sich rasend schnell selbst verbessern (Seed AI) und damit den technischen Fortschritt derart beschleunigen würden, dass die Zukunft der Menschheit hinter diesem Ereignis nicht mehr vorhersehbar ist und sich dadurch die menschliche Zivilisation dramatisch ändert oder sogar vernichtet werden könnte. Ray Kurzweil, der Chefentwickler für Künstliche Intelligenz bei Google, geht davon aus, dass dieser Zeitpunkt ab dem Jahr 2028 bis 2045 eintreten könnte[8].

Aktuell ist es Google bereits gelungen eine KI System – namens AutoML – zu entwickeln, welches eine bessere Version des zuvor von Menschen entwickelten NASNet Systems erzeugen konnte[9]. Die neue Version des Systems konnte mit höherer Treffersicherheit in Echtzeit-Videos Objekte wie Menschen oder Autos erkennen. Software hat also ein Softwareprogramm geschrieben, besser als es ein Mensch zuvor gemacht hat. Microsoft hat spezielle Chips mit Field Programmable Gate Arrays (FPGAs) entwickelt, mit denen der gesamte Inhalt von Wikipedia in weniger als den Moment eines einzelnen Augenzwinkerns eingelesen und verarbeitet werden kann[10]. Das sind zirka 5 Millionen Artikel in weniger als dem Zehntel einer Sekunde. Die KI von Microsoft hat auch erstmals besser bei Lesetests abgeschnitten als je ein Mensch zuvor[11]. Zur Messung wurde der „Stanford Question Answering Dataset“ Test verwendet. Der Test enthält 100.000 Frage-Antwort-Paare, die auf 500 Wikipedia-Artikeln basieren. Bei diesem Test werden dabei objektive Fragen gestellt wie beispielsweise: „Wie entsteht Regen?“. Microsoft hat nach eigenen Angaben beträchtliche Investitionen in das maschinelle Leseverständnis getätigt, um diesen Erfolg zu erringen. Doch die Konkurrenz schläft nicht. China hat ein staatliches Förderprogramm aufgelegt, um bis zum Jahr 2030 führend im Bereich künstlicher Intelligenz zu sein.

Bestimmte Errungenschaften im Bereich künstlicher Intelligenz lassen allerdings noch auf sich warten. So wird seit 1991 beispielsweise jedes Jahr der Loebner-Preis[12] vergeben. Dabei müssen Softwareprogramme den Turing-Test bestehen. Der Turing-Test gilt dann als bestanden, wenn ein Mensch in einem Dialog mit einem Computer und einem Menschen nicht mehr unterscheiden kann wer Maschine und wer Mensch ist. Beim Loebner‑Preis wird mit der Goldmedaille derjenige Programmierer ausgezeichnet, dessen Computerprogramm als erstes einen starken Turing-Test über 25 Minuten standhält. Dabei müssen auch Multimedia-Inhalte wie Musik, Sprache, Bilder und Videos verarbeitet werden. Die Silbermedaille wird für Programme vergeben die einen schriftlichen Turing-Test bestehen. Die Bronzemedaille geht an den Entwickler für ein Programm, das sich als das „menschenähnlichste“ erweist. Bisher jedoch wurde immer nur eine Bronzemedaille und noch nie eine Silber- und erstrecht noch nie eine Goldmedaille vergeben, da noch kein Computerprogramm den entsprechenden Test-Kriterien genügt hat. Es bleibt spannend zu verfolgen, wann zum ersten Mal Silber oder Gold vergeben werden.

Zukünftig wird künstliche Intelligenz massiv unser Leben und unsere Gesellschaft verändern. In Zukunft werden wir mit intelligenten digitalen Assistenten sprechen, die wir im Dialog nicht mehr von Menschen werden unterschieden können. Sollten sie sich aus ethischen Gründen immer als Maschinen zu erkennen geben? Diese intelligenten Systeme werden jedenfalls auf unseren Smartphones installiert sein oder auf Lautsprechern, die in unseren Wohnungen stehen. Sie werden in unseren Autos und in Straßenlaternen und digitalen Werbewänden integriert sein. So wird vielleicht nicht alles aber zumindest vieles smart bzw. intelligent. Ohne diese Assistenten werden wir nur noch schwer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können bzw. ohne sie wird unsere Gesellschaft zukünftig nicht mehr funktionieren können. Schon heute merken wir, dass unser Alltag sehr mühselig wird, wenn wir keinen Internetzugang haben. Wir können nicht mit unseren Freunden kommunizieren, nicht unsere Reisen oder Kinokarten buchen. Wir können nicht nach Klamotten bei Zalando recherchieren und online keine Preise für den besten Stromtarif vergleichen. Wir kriegen nichts von den aktuellen Nachrichten mit. Wir können im Büro keine E-Mails versenden und selbst Telefonieren können wir nicht mehr, weil die meisten unserer Telefone mittlerweile auf das Internet angewiesen sind. Für kurze Zeit ist das schön, weil wir eine Auszeit von all den digitalen Informationsfluten bekommen. In einer entlegenen Region, wo ein autarkes Leben und der Anbau eigener Lebensmittel möglich ist, könnte auch das ganz analoge Leben gut funktionieren. Doch so funktioniert der größte Teil unserer Gesellschaft heute nicht mehr. Und genauso wie wir heute schon zu großen Teilen vom Internet abhängig sind, so werden wir zukünftig von digitalen und intelligenten Assistenten abhängig sein. Das positive daran ist, dass sie uns den Alltag wieder leichter machen können. So werden sie für uns das Autofahren übernehmen, die Steuererklärung erledigen, die Kinokarten buchen, das Zuhause vorheizen, vielleicht sogar irgendwann das Zuhause putzen sowie aufräumen und vieles mehr. Darauf können wir uns also freuen.

Bei aller zukünftig möglichen Dystopien oder Utopien hat der Computer und Roboter Wissenschaftler Rodney Brooks in einem Essay ernüchternd die 7 Todsünden über die überschätzen Prognose von künstlicher Intelligenz aufgeführt[13],[14]:

  • Sünde 1 – Über- und Unterschätzen: kurzfristig wird die Entwicklung überschätzt und langfristig unterschätzt
  • Sünde 2 – Magische Vorstellungen: Funktionen erscheinen magisch, so wie ein Smartphone für Isaak Newton magisch erscheinen würde
  • Sünde 3 – Konkrete Leistung versus generelle Kompetenz: Selbst wenn KI die Leistung erbracht hat die besten Go und Schachspieler der Welt zu schlagen, so ist diese Leistung nicht auf Kompetenz in beliebige andere Gebiete übertragbar
  • Sünde 4 – Ein Wort – ein Koffer voller Bedeutungen: Wenn von einem Begiff wie selbst-lernend gesprochen wird, dann ist damit nicht gemeint, dass KI sich alles selbst beibringen kann
  • Sünde 5 – Exponentialismus: Wenn auch in einem Zeitfenster eine Entwicklung exponentiell verlaufen ist, wie beispielsweise der bisherige Leistungszuwachs bei Computerchips, stößt sie irgendwann an physikalische Grenzen
  • Sünde 6 – Hollywoodszenarien: Es kommt eh anders als es jedes utopische oder dystopische Hollywoodszenarium darstellt.
  • Sünde 7 – Das Tempo der Implementierung: Software verbreitet sich schneller als Hardware. D.h. dass es länger dauert bis beispielsweise alle alten Autos aus dem Straßenverkehr verschwunden sind und alle Häuser sowie Städte vollständig mit wirklich smarter Technologie ausgestattet sein werden, als Zeit dafür benötigt wird eine Software zu verbreiten.

Es bleibt also spannend, wie die Entwicklung von Computerrechenleistung und Künstlicher Intelligenz tatsächlich verlaufen wird. Die meisten Experten sehen eine exponentielle bzw. sprunghafte Entwicklung in Bezug auf den Leistungszuwachs auf uns zukommen.

[1] Accelerating change – Wikipedia – https://en.wikipedia.org/wiki/Accelerating_change#Kurzweil.27s_The_Law_of_Accelerating_Returns (abgerufen: 07.01.2018)

[2] T3n (2.5.2015) – Ursprünglich publiziert von Alain Veuve – Digitale Transformation: Warum wir den technologischen Wandel unterschätzen! –

https://t3n.de/news/transformation-unteschaetzen-607108/ (abgerufen: 07.01.2018)

[3] https://www.sciencedaily.com/releases/2017/06/170613145144.htm (05.08.2018)

[4] Will Knight – Maschinenlernen mit Quantencomputern – Technology Review (08.01.2018) – https://www.heise.de/tr/artikel/Maschinenlernen-mit-Quantencomputern-3928417.html (abgerufen: 22.01.2018)

[5] Human Brain Project – http://www.humanbrainproject.eu/en/ (abgerufen: 22.01.2018)

[6] https://www.weforum.org/agenda/2017/06/this-is-when-robots-will-start-beating-humans-at-every-task-ae5ecd71-5e8e-44ba-87cd-a962c2aa99c2/ (abgerufen: 11.07.2018)

[7] https://arxiv.org/pdf/1705.08807.pdf (abgerufen: 11.07.2018)

[8] Dom Galeon und Christianna Reedy – Futurism (5.10.2017) – https://futurism.com/kurzweil-claims-that-the-singularity-will-happen-by-2045/ (abgerufen: 22.01.2018)

[9] Oliver Nickel – Nasnet entwickelt selbstständig maschinelle Lernmodelle – golem.de vom 10.11.2017 https://www.golem.de/news/googles-automl-nasnet-entwickelt-selbststaendig-maschinelle-lernmodelle-1711-131082.html (zuletzt abgerufen: 29.12.2017)

[10] Mark Hachman – Microsoft’s FPGA-powered supercomputers can translate Wikipedia faster than you can blink: The world doesn’t have to long to wait for Microsoft’s “A.I. supercomputers”; they’re already here. – PCWelt (26.6.2016) – https://www.pcworld.com/article/3124486/hardware/microsofts-fpga-powered-supercomputer-can-translate-wikipedia-faster-than-you-can-blink.html (abgerufen: 20.01.2018)

[11] Daniel Berger – KI kann besser lesen als Menschen – Heise.de (16.01.2018) – https://www.heise.de/newsticker/meldung/KI-kann-besser-lesen-als-Menschen-3942209.html (abgerufen: 20.01.2018)

[12] http://www.aisb.org.uk/events/loebner-prize (abgerufen: 24.07.2018)

[13] http://rodneybrooks.com/the-seven-deadly-sins-of-predicting-the-future-of-ai/

[14] http://www.zeit.de/digital/internet/2017-11/way-of-the-future-erste-kirche-kuenstliche-intelligenz/komplettansicht

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